Gibt es Fragen, auf die der menschliche Verstand grundsätzlich keine Antworten zu geben vermag, nicht jetzt und auch nicht in absehbarer Zukunft? Oder anders ausgedrückt: Sind dem menschlichen Verstand unüberwindbare Grenzen gesetzt? Für unzählige Philosophen und Mystiker hat diese Frage schon seit Jahrtausenden eine eindeutige Antwort gefunden und wahrscheinlich hat es keiner vortrefflicher dargestellt als der griechische Philosoph Platon mit seinem Höhlengleichnis. Es besagt, dass wir die eigentliche (oder ganze) Wirklichkeit nie zu Gesicht bekommen. Die Situation des Menschen ist wie die von Gefangenen, die seit ihrer Geburt in einer Höhle angekettet sind und immer nur auf eine Wand schauen können, die sich unmittelbar vor ihnen befindet. Auf dieser Wand sind Schatten zu sehen, die sich bewegen. Dass diese Schatten von richtigen Menschen stammen, die hinter dem Rücken der Gefangenen vorbeigehen, werden Letztere nie erfahren, solange sie sich nicht umdrehen können. Solange werden sie die Schatten für die einzige Wirklichkeit halten. Bezogen auf unsere Frage nach den Grenzen des menschlichen Verstandes würde das bedeuten, dass wir niemals in der Lage sein werden, die ganze Wirklichkeit zu begreifen, also zu verstehen. Immer wieder im Laufe der Menschheitsgeschichte haben Menschen das intuitiv erkannt und ausgedrückt.
Wie aber verhält es sich mit dieser Frage angesichts moderner wissenschaftlicher Erkenntnisse? Alles deutet daraufhin, dass die Forschungsergebnisse der modernen Wissenschaft die Aussagen der Philosophen und Mystiker mehr und mehr bestätigen. Dazu ein paar ganz konkrete Beispiele.
Wenn sich zwei Autos aufeinander zu bewegen und beide mit einer Geschwindigkeit von 60 Kilometer pro Stunde fahren, dann ist bei einem Frontalzusammenstoß der Impakt des Zusammenpralls rein theoretisch doppelt so groß, als wenn eines der beiden Autos still steht. Im ersten Fall addieren sich nämlich die Geschwindigkeiten. Das erscheint jedem absolut logisch und bedarf auch keiner weiteren Erklärung.
Licht bewegt sich im luftleeren Raum mit 299 792 458 Kilometer in der Sekunde (mehr als 1 Milliarde Kilometer pro Stunde). Nichts ist schneller als das Licht. Bewegen sich zwei Lichtstrahlen aufeinander zu, müssten sie das logischerweise mit einer Geschwindigkeit tun, die doppelt so groß ist als die vorher angegebene. Dem ist aber nicht so. Auch in diesem Fall beträgt die Geschwindigkeit 299 792 458 Kilometer pro Sekunde. Und niemand weiß warum.
Wenn ein Stein im freien Fall (also ohne Berücksichtigung des Luftwiderstands) aus 300 Meter Höhe über der Erdoberfläche nach unten fällt, schlägt er nach 7,8 Sekunden mit einer Geschwindigkeit von 276,2 Kilometer pro Stunde auf den Boden auf. Schon nach 3 Sekunden beträgt die Fallgeschwindigkeit 106 km pro Stunde. Dasselbe gilt für jeden x-beliebigen Körper (also auch für einen Elefanten oder eine Vogelfeder). Im freien Fall befindet sich ein Körper im Zustand der Schwerelosigkeit. Obschon er schwerelos ist, wird er nach unten gezogen, Richtung Erdmitte. Die Kraft, die das bewirkt, ist die Gravitation, in unserem Fall also die Anziehungskraft der Erde. Gravitation ist wirksam im gesamten Universum. Sie bewirkt, dass sich Körper (oder Massen) gegenseitig anziehen. Sie bewirkt also zum Beispiel auch, dass die Planeten, die um die Sonne kreisen, auf ihrer Umlaufbahn bleiben. Ohne Gravitation gäbe es keine Planeten, keine Sterne und keine Galaxien. Wir wissen, dass dem so ist und seit Isaac Newton wissen wir auch, dass die Gravitation sich proportional zum Produkt der beiden Massen verhält, die sich anziehen oder umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstandes der beiden Massen. «In der allgemeinen Relativitätstheorie Einsteins wird die Gravitation durch eine Krümmung der vierdimensionalen Raumzeit beschrieben, bei der die räumlichen und zeitlichen Koordinaten als gleichberechtigt betrachtet und alle Änderungen im Rahmen dieser Theorie als geometrisches Problem behandelt wer-den» (Wikipedia; Gravitation).
Trotz all dieser Erkenntnisse können die Physiker bis heute nicht genau sagen, was die Gravitation eigentlich ist.
Von den Wasser-, Sand- und Sonnenuhren bis zu den mechanischen Uhren, den Quarz- und Atomuhren, die Messung der Zeit wurde durch die Jahrhunderte immer genauer. An der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig steht eine Atomuhr, die die Zeit genauer misst als jede andere Uhr auf dieser Welt: sie ist in der Lage mithilfe von Wellen, die von Cäsium-133-Atomen ausgesendet werden, eine 9-milliardste Sekunde zu messen (die genaue Zahl beträgt 9 192 631 770). Es dauert rund 40 Millionen Jahre, bis diese Uhr um eine Sekunde falsch geht. Zeit gibt es, genauso wie die Materie und den Raum, erst seit dem Urknall, also seit der Entstehung des Universums. Ohne Zeit gibt es keine Veränderung. Wir brauchen die Zeit, um unser Leben zu ordnen und einzuteilen und seit Einstein wissen wir, dass Zeit und Raum nicht unabhängig voneinander existieren (Raum-Zeit-Kontinuum) und die Zeit nicht überall gleich schnell vergeht. Trotzdem bleibt das Wesen der Zeit für die Physiker bis heute ein Rätsel.
Seit Georges Lemaître und Edwin Hubble ist sich die Mehrheit der Astronomen darüber einig, dass das Universum expandiert (sich also ausdehnt). Aufgrund der Hubble-Konstante – die ein Maß für die Expansionsrate des Universums ist und deren Wert unter Astronomen immer wieder für heftige Auseinandersetzungen sorgt – lassen sich Berechnungen anstellen über den Anfang des Universums. Aus dem Kehrwert der Hubble-Konstante – einer von mehreren vorgeschlagenen Werten liegt bei 74 Kilometer pro Sekunde je Megaparsec Entfernung (1 Mega-parsec ~ 3,26 Millionen Lichtjahre, was bedeutet, dass eine Galaxie sich auf einer Entfernung von 3,26 Millionen Lichtjahren mit einer Geschwindigkeit von 74 Kilometern pro Sekunde ausdehnt) – schätzt man das Alter des Universums auf rund 14 Milliarden Jahre. Vor 14 Milliarden Jahren soll es also einen Anfangspunkt und -Moment gegeben haben, von dem aus die Materie und die Raumzeit entstanden sind, und das durch einen sogenannten Urknall. Vor diesem Urknall gab es demzufolge: Nichts.
Aber warum gibt es denn überhaupt ein Universum? Warum existiert überhaupt etwas und warum gibt es nicht Nichts?
Und wenn das Universum aus dem Nichts entstanden sein soll, was hat dann den entscheidenden Anstoß für den Urknall gegeben? Warum ist das Nichts nicht einfach so geblieben, wie es war?
Von Galileo Galilei stammt der Satz: «Das Buch der Natur ist in der Sprache der Mathematik geschrieben». Unzählige Tatbestände lassen sich mithilfe von Zahlen und Formeln beschreiben, also ausdrücken. Wir benutzen Formeln, um Flächen- und Volumeninhalte zu berechnen, um Bewegungsabläufe und deren Geschwindigkeiten zu beschreiben. Ingenieure berechnen mithilfe von Formeln die Bewegungsbahnen von Raumfähren. Seit Johannes Kepler sind die Astronomen in der Lage, die Umlaufbahnen von Planeten um die Sonne zu berechnen und in neuerer Zeit erlauben es sogar Rechnungen, die Größe des Universums zu bestimmen. Die Fallgesetze Isaac Newtons werden in Formeln ausgedrückt, subatomare Ereignisse werden mithilfe von mathematischen Formeln beschrieben, und, und, und….
Physiker haben erkannt, dass das gesamte Universum symmetrisch aufgebaut ist. Sie haben Spiegel-, Rotations- oder Kegelsymmetrien identifiziert und beschrieben. Tiere, Pflanzen, Menschen, von Menschen hergestellte Maschinen oder irgendwelche andere Objekte, ja sogar elektromagnetische Wellen, alles im Universum ist symmetrisch aufgebaut. Und diese Symmetrien lassen sich mit Zahlen beschreiben.
Aber ob all diese Zahlen und Formeln Wahrheiten ausdrücken, die unabhängig von der Erfahrung lebender Organismen existieren (und immer existiert haben) oder ihren Ursprung allein in einer (wie auch immer gearteten) empirischen Erfahrung haben, das bleibt bis heute unter Wissenschaftlern ein heißdiskutiertes Thema.
Das eigentliche Wesen und die Grundlage der Mathematik sind rätselhaft.
Vieles deutet also darauf hin, dass wir in einer Welt leben, die wir mit unserem Verstand nie ganz zu fassen vermögen. Die Bewunderung über das, was Menschen schon alles erforscht haben, mag noch so berechtigt sein, wir kommen nicht umhin, uns einzugestehen, dass in Anbetracht dessen, was die Menschheit wusste vor einigen tausend Jahren, wir heute zwar enorm viel wissen, aber in Anbetracht dessen, was wir nicht wissen, es immer noch sehr wenig ist.
Die Antworten auf die oben gestellten Fragen liegen womöglich in einer Dimension, die unserer Vernunft für immer unzugänglich bleibt.
Folgendes Gedankenexperiment mag verdeutlichen, wie das gemeint ist.
Lesen Sie weiter in: “Also bin ich Mensch” (Paperback; 288 Seiten)